Die Deportation nach Gurs

Filmaufnahmen aus Bruchsal vom 22. Oktober 1940


"... es geschah am helllichten Tag!"

Der 22. Oktober 1940 ist einer der schwärzesten Tage in der Geschichte Südwestdeutschlands: Innerhalb nur weniger Stunden wurde nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung Badens, der Pfalz und des Saarlandes in das südfranzösische „Camp de Gurs“ deportiert, das größte Internierungslager in Frankreich. Ziel der sogenannten „Wagner-Bürckel-Aktion“ war es, die südwestdeutschen Gebiete als erste im Reich rasch und vollends „judenfrei“ zu machen. Die meisten der 6.538 Deportierten kamen in den folgenden Jahren ums Leben.

Pro Jude eine Wolldecke

Die Gestapo-Beamten kamen am frühen Morgen in die Wohnungen. Die Festgenommenen in den 137 betroffenen Gemeinden mussten in aller Eile ihre Habseligkeiten zusammenpacken und innerhalb einer Stunde reisefertig sein. Pro Kopf durfte ein höchstens 50 Kilogramm schwerer Koffer mitgenommen werden, eine Wolldecke, Geschirr und Lebensmittel für mehrere Tage, maximal 100 Reichsmark sowie die Ausweispapiere. Mit Zügen und Lastwagen wurden die Menschen in das 1.300 Kilometer entfernte Gurs gebracht – kleine Kinder ebenso wie Alte und Kranke. Dass sie nie mehr zurückkommen sollten, war ihnen nicht klar. An den Strapazen der Reise starben bereits viele der älteren Juden.

Eine Woche später meldete der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, dem Auswärtigen Amt: „Die Abschiebung der Juden ist in allen Orten Badens und der Pfalz reibungslos und ohne Zwischenfälle abgewickelt worden. Der Vorgang der Aktion selbst wurde von der Bevölkerung kaum wahrgenommen.“

Im Vorhof zur Hölle

Das Camp de Gurs am Fuße der Pyrenäen war ursprünglich als Auffanglager für Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkriegs errichtet worden. Während des Zweiten Weltkriegs wurden dort insgesamt 60.000 Menschen interniert.

Auf dem rund drei Quadratkilometer großen Gelände standen etwa 380 Baracken für je 50 bis 60 Internierte, die Gebäude waren unbeheizt, ohne verglaste Fenster oder sanitäre Einrichtungen. Geschlafen wurde auf Strohsäcken oder auf dem blanken Boden. Um zu den Latrinen zu gelangen, mussten die Menschen durch die teils knietief verschlammten Außenflächen waten.

Auf den Strom der mehr als 6.000 neu ankommenden Deportierten der „Wagner-Bürckel-Aktion“ war das Lager vollkommen unvorbereitet. Die tägliche Verpflegung bestand in der Regel aus Kaffeeersatz und Rübensuppe. Gegessen wurde schichtweise – oft mussten sich mehrere Menschen das Essgeschirr teilen. Eine medizinische Versorgung gab es nicht. Die Lagerinsassen litten unter der Kälte, an Ungeziefer und an Krankheiten wie Diphtherie und Ruhr. Obwohl Gurs kein Vernichtungslager wie etwa Auschwitz war, starben aufgrund der schlechten Lebensbedingungen Tausende Insassen, die meisten von ihnen im harten Winter 1940/41.

Nur wenige Deportierte besaßen Auswanderungspapiere und konnten im Sommer 1942 legal ausreisen, überwiegend in die USA. Die knapp 4.000 südwestdeutschen Juden, die bis dahin überlebt hatten, wurden kurz darauf in die Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und Sobibor gebracht und ermordet.


Mit freundlicher Genehmigung von Judith Weidermann, geschäftsführende Redakteurin von "ekiba intern", Öffentlichkeitsreferentin im Zentrum für Kommunikation (ZfK) und zuständig für Öffentlichkeitsarbeit in der evangelischen Landeskirche in Baden.


"Ich weiß nicht, ob wir nochmals schreiben können."

Die Deportation der badischen und saarpfälzer Juden in das Internierungslager Gurs in den Pyrenäen.

Eine Veröffentlichung der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg


Gerettete und ihre RetterInnen

In der Veröffentlichung "Gerettete und ihre Retterinnen - Jüdische Kinder im Lager Gurs: Fluchthilfe tut not - eine notwenige Erinnerung nach 80 Jahren" werfen Brigitte und Gerhard Brändle einen bisher nicht realisierten Blick auf das Lager Gurs. Damit wird sowohl den Kindern und Jugendlichen als auch ihren Retterinnen und Rettern Stimme und Gesicht gegeben und ein Denkmal der Erinnerung gesetzt.

Im Vorwort schreibt der Vorsitzende der IRG Baden (Israelitische Religionsgemeinschaft Baden), Rami Suliman, u.a.: "Wachsender Antisemitsmus und Menschenfeindlichkeit auch in den sozialen Medien sind aktuelle Bedrohungen unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts und unserer demokratischen Ordnung, die dringend des Widerspruchs bedürfen. Wenn diese Veröffentlichung mithilft deutlich zu machen, dass der eigene, vielleicht kleine Beitrag wichtig sein kann für eine menschliche Gemeinschaft, dann hat sie - über die biografischen Beschreibungen hinaus - viel erreicht. Wir wünschen uns, dass dies gelingt."