Die Deportation nach Gurs

Filmaufnahmen aus Bruchsal vom 22. Oktober 1940


Berichte über die Deportation

Unter den Deportierten war auch der Bruchsaler Lehrer und Dichter Ludwig Marx. Über seine Zeit in Gurs schrieb er dieses Gedicht:


Stacheldraht

Wir kauern am Boden bei Wetter und Wind

und haben nicht, was der Ärmste noch hat:

Kein Dach und kein Bett, keine Lade, kein Spind,

wir haben nur Zelte und Stacheldraht.


Wir schlafen und wachen wie Tiere dumpf,

wir essen und trinken und werden kaum satt,

wir haben noch Seelen, doch bald sind sie stumpf,

denn das Leben hört auf hinter Stacheldraht.


Nur die Wolken, die über das Lager ziehn,

sie sind unsre Freunde, sie wissen noch Rat,

wirtschicken sie frei zu den Freien hin

mit dem Schrei: Erlöst uns vom Stacheldraht!


Eine Lerche singt über meinem Zelt

und schwingt sich hoch über die reifende Saat:

Hab Dank, du Bote aus einer Welt,

die siegt über Sieger und Stacheldraht.





Aus dem Tagebuch des Heidelbergers Hans Bernd Oppenheimer:

"Morgens 7.00 Uhr Gestapo bei uns mit Ausweisung aus Deutschland. 1/2 11 Uhr Abholung durch Polizei-Lastwagen zum Bahnhof zu bereitgestelltem Sonderzug. Abends 6.15 Uhr Abfahrt aus Heidelberg. Fahrt: Heidelberg, Bruchsal, Karlsruhe, Freiburg, Mülhausen (Frankreich), Belfort, Dijon, Lyon (unbesetztes Gebiet), Avignon, Sete (Mittelmeer), Carcassonne, Toulouse (Verpflegung durch französische Armee nach Bezahlung), Pau, Oloron. Umladen in Lastwagen nach Camp de Gurs. Dauer der Fahrt 4 Tage und 3 Nächte."


Eine der Deportierten, die in Heidelberg den Sonderzug besteigen musste, schildert den Beginn der Fahrt in das Ungewisse:

"Es geht das Gerücht: Nach Frankreich, nach Belfort. Oh Gott, nur nicht nach Polen! Die Herren überlegen sich die Bahnlinien. Wir fahren. In Bruchsal ist die erste Station. Neue Menschen steigen ein. Schicksalsgenossen. Man hört die Aktion sei nur in Baden und der Pfalz (Man weiß es jetzt noch nicht genau). Dann fahren wir weiter. Es wird Nacht. Der Zug hält sehr oft. In Karlsruhe und Freiburg kommen immer wieder Juden dazu. Der Zug wird schrecklich voll. Die Leute sitzen und stehen in den Gängen mit ihrem Gepäck. Die Fenster müssen geschlossen und die Vorhänge zu sein. Die Luft ist unerträglich. Einer in Uniform und zwei Sanitäter laufen durch den Zug und rufen: 'Ist jemand schlecht, hat jemand Herzbeklemmung?' Es war das erste und letzte Mal. Wir fahren durch die Nacht, in unbekannte Gegend. Immer noch die große Frage: Osten oder Westen? Wenn jetzt Breisach kommt, sind wir sozusagen gerettet. Waren wir schon dort? Endlich, schon im Morgengrauen, fahren wir über die Rheinbrücke. Frankreich!"

Aus: Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Herausgeber: Landratsamt Karlsruhe

Richarz S. 309 f.



Karolina Mayer schreibt aus dem Lager Gurs am 30. Oktober 1940 an ihre Kinder in Amerika:

„Meine Lieben Alle!
Wie ihr meine Lieben vielleicht schon erfahren sind wir seit Freitag nach 3 tägiger Fahrt hier und wohnen Ilot I Baracke 23 Vater B 14 und sind gesund und munter und haben vor allem gute Luft. Bitte Euch um Dauerware Lebensmittel. Es ging alles ganz rasch. Hoffe Euch alle gesund und macht Euch keine Sorgen. Viele herzliche Grüße. Mutter. Grüße von Vater und Sichers, Zivis und vielen Bekannten. Schreibt an mich auch wie es Kurt geht. Meine Adresse ist: Camp de Gurs Ilȏt I Baraque 23 Basses Pyrenées (Bp) Grüsse [von] Adelheid, Recha Hess, Emmy, Fritz Sicher“


In diesem Brief werden am Ende Grüße ausgerichtet von "Sichers". Damit sind Verwandte von Hugo Mayer gemeint, die ebenfalls im Lager Gurs waren, nämlich Recha Sicher und ihr Mann Fritz Sicher, die in Bruchsal lebten. Recha ist eine geborene Heß, aber der Mädchenname von Rechas Mutter ist Mayer. Emmy Sicher ist die Tochter von Recha und Fritz Sicher und wurde von Karlsruhe aus deportiert. Adelheid Heß ist eine Schwester von Recha Sicher, geb. Heß und wohnte wie ihre Schwester in Bruchsal.



Der Karlsruher Kurt Billigheimer schrieb kurz nach der Ankunft in Gurs an seine Verwandten in der Heimat.

Kurt Billigheimer wurde 1897 in Karlsruhe geboren und 1944 in Auschwitz ermordet, ebenso wie seine 1901 in Berwangen geborene Frau Irma (Hochherr), die 1942 ebenfalls in Auschwitz ermordet wurde. Die beiden Töchter Ingrid und Hannelore waren erst 14 bzw. 13 Jahre alt bei ihrer Ermordung in Auschwitz. Kurt Billigheimers Mutter Melanie verstarb 1942 in Perpignan, sein Schwiegervater Moses Moritz 1941 in Rivesaltes. Lediglich die Schwiegermutter Marie überlebte und verstarb im November 1964 in New York.


© Leo-Baeck-Institute, New York

Campe de Gurs, le 17. November 1940

Meine Lieben!

Durch Rundfunk und Zeitung werdet Ihr bald unterrichtet worden sein, auf welch räuberische Art wir in Baden und Pfalz aus unserem Heim vertrieben wurden und unser Hab und Gut im Stiche lassen mussten. Ganz überraschend kamen am 22. Oktober morgens drei Mann von der Gestapo und forderten uns auf, innerhalb 20 Minuten unsere Wohnung zu verlassen. Wir sollten für drei Tage Lebensmittel mitnehmen und sonst dürften wir uns so viel packen, was wir tragen konnten. Ihr könnt euch unsere Bestürzung vorstellen und in all der Aufregung mussten. Irma und ich packen für uns und unsere Kinder; viel konnte es nicht werden angesichts der so knappen Zeit und hatten wir auch nicht die Kraft so viel zu tragen. Außerdem durften wir nur 100 RM mitnehmen, so dass es nicht übertrieben ist, wenn ich sage, dass wir völlig mittellos ausgewiesen wurden.

Am 25. Oktober kamen wir ins Lager in Gurs und sind seit dieser Zeit hier interniert. Da auch die französischen Stellen von dieser Aktion völlig überrascht wurden, war man für die Aufnahme so vieler Tausender nicht vorbereitet. Wenn man sich auch Mühe gibt uns zu helfen, so fehlt es doch an Allem und Nötigsten, zudem sehr viele alte Leute dabei sind (bis zu 95 Jahre alt) aber auch Säuglinge. Die Männer und Frauen wurden getrennt in Baracken untergebracht, die durch Stacheldraht getrennt sind so können wir nur sehr, sehr wenig, alle paar Wochen, auf kurze Augenblicke mit unseren Angehörigen in den Frauenbaracken sprechen. Es ist  mir unmöglich, all das Elend und Leid und all die Not zu schildern, die uns durch diese grausame Aktion in Deutschland widerfahren ist. Ihr könnt Euch nicht in der Phantasie vorstellen, welches Verbrechen begangen wurde und wie sich das auf uns auswirkt.

Wir, dies die liebe Irma, die Kinder, meine Mutter, meine Schwiegereltern sind gottlob noch gesund und hoffen es zu bleiben, wir hoffen aber bald hier heraus zu kommen, wenn möglich nach USA. Wenn ihr uns irgendwie helfen würdet wären wir euch von Herzen dankbar, zumal es hier an vielem mangelt und nur mit teurem Geld zu erhalten ist. Bitte teilt uns mit, ob ihr uns zur Einwanderung nach U.S.A. helfen könnt. Für die liebe Irma, mich und die Kinder habe ich wohl Bürgschaft, doch weiß ich nicht, ob diese heute noch genügt. Für meine Mutter fehlt die Bürgschaft völlig. Wie geht es Euch? Was hört Ihr von Euren Lieben aus Frankfurt? Wie geht es Tante Martha?

Euch allen die herzlichen Grüße von Eurem Kurt.



Der Mannheimer Arzt Dr. med. Eugen (Isaak) Neter berichtet über den schrecklichen Winter 1940/41:

"Vergeblich fast war die überaus schwere Arbeit der Ärzte und das Mühen der sich aufopfernden Schwestern; zu sehr mangelte es an Arzneien, Nahrung und Pflegemitteln. In den kalten Behelfsbaracken mit 30 bis 40 Durchfallskranken eine einzige Bettschüssel. Furchtbar war die Beschmutzung bei dem Mangel an Wäsche, unsagbar die dadurch körperlich und seelisch verursachte Qual. Was jüdische Schwestern und Helferinnen damals geleistet haben, kann voll nur würdigen, wer die ungünstigen Verhältnisse miterlebt hat, unter denen sie damals ihren schweren Dienst antreten mussten.

In jenen drei Monaten starben ungefähr weit über 600 Männer und Frauen. Viele starben in den ersten Monaten ohne nachweisliche Erkrankung; das Herz, der ganze Körper ertrug die Umstellung nicht und versagte. Ebenso der Lebenswille, der gebrochen war durch das Furchtbare der neuen, unerträglichen Umgebung. Besonders dort war der Lebenswille geschwächt oder gänzlich vernichtet, wo der Mensch allein stand und wo ihm der Auftrieb fehlte, den die Hoffnung, seine Kinder oder Frau später nochmals wiederzusehen, dem Ermatteten zu geben vermag. - Mag die Mehrzahl der Gestorbenen auch schon einem Alter angehört haben, in welchem das Absterben des Menschen ein natürlicher Vorgang ist, so war doch der allgemeine Eindruck der, dass hier der Tod früher kam, als er unter anderen Lebensbedingungen erwartet werden müsste.

Aus: Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Herausgeber: Landratsamt Karlsruhe

Sauer 1968 S. 275


Else Liefmann war Kinderärztin und Pädagogin. Sie wurde aus Freiburg nach Gurs deportiert und schrieb in einem Brief über das Leid der Menschen:         

"Wir haben täglich 10-15 Tote, meist alte Leute, aber auch ab und zu Jüngere und Kinder. Das ist dann besonders traurig. Aber der Dreck hier ist unbeschreiblich, dass, obgleich in meiner Infirmerie (Krankenstation) die Schwestern hervorragend arbeiten, dagegen kaum anzugehen ist. Außerdem fehlen uns ja so gut wie alle Hilfsmittel und die Wirkung ist minimal. Der Vertreter des Roten Kreuzes wird hoffentlich berichten [...]"

Aus: Die Deportation der badischen, pfälzer und saarländischen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen, Hrsg: LpB, 2005


Ein internierter Arzt, Dr. Ludwig Mann aus Mannheim, beschrieb die Situation im Lager Gurs folgendermaßen:         

"Die Baracken waren kalt, feucht, zugig und schmutzig, die Strohsäcke lagen auf den schiefen Bretterböden, schlecht gefüllt mit muffigem Stroh. Es gab Wanzen und Läuse, Ratten und Flöhe; aber kein Essgeschirr und kein Trinkgefäß. Alles Gepäck, die 20 kg, die pro Person erlaubt waren, war von den Gepäckcamions [Gepäckwagen] auf die Lagerstraße geworfen worden und lag in wüstem Durcheinander in Dreck und Regen. Nur kleine Dinge hatte jeder bei sich, vielleicht einen Becher, ein Messer, mit denen sich mehrere behelfen mussten. Wir waren vollkommen benommen vom Schock der plötzlichen Deportation aus der Heimat, die trotz der Erbarmungslosigkeit des Hitlertums eben doch die Heimat war, in der wir aufgewachsen waren und viele Generationen vor uns ihr Leben verbracht hatten. Viele begriffen immer noch nicht, was mit ihnen geschehen war. Man saß auf den Strohsäcken herum, hinaus konnte man nicht. Es regnete und regnete. Der Boden war verschlammt, man rutschte aus und sank ein. Die Gräben waren verstopft und das Wasser lief über [...]" .

Aus: Die Deportation der badischen, pfälzer und saarländischen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen, Hrsg: LpB, 2005


Brief von Franziska Bär aus Gurs am 5. Dezember 1940 an ihre Tochter Rose.

"Liebes, gutes Röslein!

Kind, kannst Du glauben, dass es Deiner Mutter schwer fällt an dich zu schreiben, obgleich es mir größtes Bedürfnis ist? Unser ganzes Leben ist derart verwandelt, dass wir uns kaum mehr zurecht finden können. Nur eines von allem ist noch geblieben, die Liebe zu Dir und zu unserem Vaterle und sie ist unser ganzer Halt. Du weißt jetzt sicher von unserem traurigen Schicksal und ich will Dir nicht das Herz schwer machen und Dir Näheres erzählen. Die Hauptsache ist, wir sind noch gesund und haben trotz allem den Willen es zu bleiben. Das Härteste ist, dass Vater und ich getrennt sind und wir uns sehr wenig sehen können, dabei sehen wir uns noch mehr als viele Andere, da Vater 'chef de baraque' ist und 1 mal in der Woche 1 Stunde Ausgang hat. Du siehst auch hier müht sich Vater für Andere und ist dadurch seelisch gottlob obenauf. 

Onkel Hugo ist bei ihm im Lager und es geht ihm gesundheitlich besser als zu erwarten war. Tante Frida und Tante Rosl sind im nächsten Ilot [Häuserblock], aber wir sprechen uns öfters am Draht. Tante Frida war anfangs gar nicht wohl, aber sie hat sich gut erholt, trotz primitivster Ernährung und vielem Frieren während der kalten Nächte. Gute Menschen, vor allem die Richards, haben uns mit dem Nötigsten Warmen versorgt, denn Du kannst Dir denken, wir hatten 1 Stunde Zeit zum Packen, ehe wir alles im Stich lassen mussten. Es war unsagbar hart und ich war ganz fassungslos. Bevor wir die Wohnung verlassen mussten, kam noch ein Brief und im Rausgehen nahm ich noch Dein letztes Bildchen von Dir von der Wand, sonst haben wir kein Bild und kein Erinnerungszeichen von unseren Lieben bei uns."

Aus: Gedenkschrift zur dritten Stolpersteinverlegung in Bruchsal am 26. April 2017.


Hannelore Haguenauer, 1923 in Karlsruhe geboren, mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Gurs deportiert, beschreibt am 21. Februar 1941 einem Freund ihren Tagesablauf: 

"Lieber Robert [...] Dann mache ich mich fertig + ziehe mit Milchkanne + Einkaufstasche bewaffnet per Fahrrad los. Du  musst nämlich wissen, ich bin in der Kantine beschäftigt, die meine Bekannte aus Karlsruhe leitet. Ich kaufe für die Kantine ein und habe dadurch den Vorzug, ein relativ anständiges Mittagessen, allerdings für viel Geld, zu bekommen. Jedoch ich bin vor allem froh, dass ich Beschäftigung habe u. "raus" komme. [...] So gegen Abend komme ich dann zurück u. verbringe den Rest des Abends meistens in der Kantine, wo es recht gemütlich ist. Die seelische Stimmung u. vor allem die seelische Verfassung ist sehr mies."

Aus: Die Deportation der badischen, pfälzer und saarländischen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen, Hrsg: LpB, 2005


Postkarte von Betty Nathan aus Gurs an Familie Moritz Nathan, 515 Raritan Ave, Highland Park NJ, USA, am 21. Mai 1941:

"Meine lieben Alle!

Damit die Pause nicht gar zu groß wird, schreibe ich Euch heute einmal eine kurze Karte. Ausführlich schreibe ich erst wieder, wenn wir Brief von Euch erhalten haben. Dir, lieber Wilhelm [Wilhelm Nathan, der Neffe], gratulieren wir recht herzlich zu Deinem Geburtstag, den Du zum ersten Mal im eigenen Heim verbringen darfst. wir wünschen Dir alles Gute vor allem, dass Ihr gesund bleibt, dass wir uns recht bald sehen können.

Sorgt doch bitte dafür, dass wir bald die Papiere von Euch erhalten, damit wir endlich von hier raus kommen können. Tante Lina und Robert wurden am 15. d. M. in Marseilles eingeschifft; sie fahren über Martinique. Gestern kamen noch zwei Paketchen von ihr, an Elsa [Elsa Kander, ihre Schwester] und mich adressiert. Elsa beharrt unbedingt darauf, dass sie [die] Hälfte davon bekommt, wenn sie auch jetzt nur zu zweien sind mit der Begründung, Kurt [Kurt Kander, Neffe] muss sich unbedingt zusetzen: wenn wir hoffentlich recht bald zu Euch kommen, kann ich Euch viel erzählen. Ich kann nicht alles schreiben, wie es hier zugeht; des Essens wegen könnten ich fast noch meine Portion nur für Kurt entbehren, damit er satt werden kann. Hoffentlich erhalten wir recht bald wieder gute Berichte von Euch. Empfangt Alle von uns Allen herzlichste Grüße und Küsse, Eure Betty."

Aus: Gedenkschrift zur vierten Stolpersteinverlegung in Bruchsal am 5. Juli 2018.


Brief von Fritz Bär aus Gurs am 26. Oktober 1941 an seine Tochter Resi, nachdem er vom Tod seines Bruders Max in den USA erfahren hat.       

"Der Mensch denkt und Gott lenkt. Wohin wird er meine Schritte lenken? Nach USA, sonst wohin oder wieder zurück? Ich war es gewohnt bis zu einem gewissen Grad mein Schicksal selbst zu meistern und hier bin ich seit einem Jahr zum Spielball zuerst böser Mächte und jetzt und später hoffentlich besserer Kräfte geworden. Ich selbst bin gefesselt an Händen und Füßen, selbst der Geist ist lahm und ich vermag nicht und nichts zu denken. Unser ganzes Denken und Fühlen endigt in dem Gedanken baldigen und guten Friedens für die Menschheit und damit auch für uns. Ob dieser Wunsch wohl in den nächsten sechs bis acht Monaten in Erfüllung gehen wird?"

Aus: Gedenkschrift zur dritten Stolpersteinverlegung in Bruchsal am 26. April 2017.


Ein im Mai 1942 geschriebener Brief von Benjamin Bravmann aus einem Marseiller Internierungslager an seine Tochter Lore, verheiratete Kupfer, in Palästina, über das Schicksal der Bruchsaler Juden in der südfranzösischen Gefangenschaft:

"Meine lieben Kinder!

Da ich seit Monaten nichts von Euch gehört habe, was wohl durch die derzeitigen Verhältnisse bedingt ist. Euer letzter Brief vom 18.12.1941 kam am 17.1.42 über die Schweiz in meinen Besitz. So möchte ich mich nach Eurem Wohle erkundigen. Ich hoffe, dass ihr alle gesund seid und ich bin in der glücklichen Lage, von mir gottlob das gleiche Gute zu melden, es geht mir gesundheitlich ganz ordentlich. Von Baltimore hörte ich, dass nunmehr Leo Sommer, Abrahams Schwager als 2. Bürge für mich eingesprungen sei, nachdem mein Neffe Ernst in Brooklyn als nicht ausreichend zurückgewiesen worden sei. Ich glaube bestimmt, dass dies gar keinen Einfluss hat, denn seit dem 12.12.41 hat bis heute kein einziger ehemaliger deutscher Jude am Consulat ein Einreisevisum erhalten. Da hingehen erhalten ehemalige Polen und Rumänen ihre Visen in großer Zahl. [...]

Es sind noch hier Frau David Kaufmann und Frau Aron Kahn Witwe im Hotel Bomphard. Aron Kahn starb in Gurs, Frau Emil Dreyfuss Witwe und Berthold Lang und Frau gelang noch im Dezember nach USA auszuwandern. Ferner befindet sich im Hotel Bomphard eine Frau Selma Kaufmann geb. Eichtersheimer geboren zu Bretten, hat einen Sohn Kurt Kaufmann in Tel Aviv und ist besorgt, da sie keine Nachrichten von ihm hat. Lässt herzlich grüßen. Ebenso bittet Frau David Kaufmann ihren Bruder Hugo Hausmann, er solle nach USA an die Verwandten schreiben, sie selbst und ihr Mann, der in Les Milles ist, lassen herzlich grüßen.

Hugo Rödelsheimer ist auch noch in Les Milles und wartet auf sein Visum. Sein Bruder Max, der Photograph, hat sich in Gurs wieder verheiratet. Bernhard Kaufmann aus Mannheim ist in Les Milles, seine Frau Selma in Gurs. In Les Milles sind ferner Arthur Stroh, Sally und Julius Rotheimer. Jenny Stroh ist in Gurs, auch Frau Recha Sicher mit Tochter und Schwester Maria. Ernst Nathan mit Frau und Tochter Marie Gretel ist gestorben. Ludwig Geismar und Frau Lina Wertheimer Witwe, die Mutter von Emanuel, sind in Gurs gestorben. Wilhelm Prager mit Frau sind noch in Gurs, ebenso Schneider Maier mit Frau, die 2 Mädchen Regina und Rosa Bär (Holzmosche), Fritz Bär mit Frau, Lazarus Barth mit Frau, Heinrich Barth mit Frau und Tochter, Leo und Max Barth, Julius Bravmann und Frau Naelka, Eppingen, und Frau Barth Witwe Flehingen. Die Mutter von Frau Nathan Löb ist gestorben. [...]

Ich war in Pessach viel in der Synagoge und wünsche mir, dass wir nächsten Pessach wieder vereint sein können."

Aus: Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Herausgeber: Landratsamt Karlsruhe